aus der GbP 1/24
von Colette Gras und Karen Spannenkrebs
Am 10. Januar diesen Jahres veröffentlichte das Recherchenetzwerk Correctiv einen Bericht über ein Geheimtreffen von verschiedenen Rechten, das für einen Aufschrei der Empörung sorgte, weil dort das Hauptthema die so genannte »Remigration« war, also die geplante Ausweisung von Menschen ohne deutschen Pass und Menschen, die von den Rechten für »nicht-deutsch« gehalten werden1. Im Nachgang erschien die deutsche Öffentlichkeit zunächst ungewohnt einig. Nach Jahren der Berichterstattung über einen sogenannten Rechtsruck zeigt sich, worin dessen offensichtliche Gefahren liegen. Und auch wenn »Remigration« bekanntermaßen das Programm von Teilen der AfD, z.B. dem Höcke-Flügel ist, hat dieser Bericht das Fass zum Überlaufen gebracht. Im Schock über die Enthüllungen scheint klar: Alle – außer den AfD-Wähler*innen und den anderen Rechten – sind sich einig gegen Rechts.
Dabei kann man sich schon allein über das Wort »Rechtsruck« streiten, verschleiert es doch zum einen die ununterbrochene Kontinuität rechtsextremer und (neo)faschistischer Kräfte in Deutschland seit 1945. (Diese kann in der 23. Folge des Podcasts Rosalux History gut nachvollzogen werden2). Für viele Antifaschist*innen war die Gefahr von Rechts schon lange vor der Correctiv Recherche offensichtlich. Und zum anderen verschleiert es die schleichende Verschiebung der Politik auch nicht als rechts geltender Parteien nach rechts, ohne dass sie rechtsradikal oder rechtsextremistisch sind. Immerhin wurde im Januar ein sogenanntes Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen, das viele Forderungen der Rechten aufgreift und umsetzt. Und das von einer Regierungskoalition, die sich einig weiß mit den Demonstrationen gegen Rechts…
Dennoch gilt es, trotz der vorhandenen Kontinuität auch die aktuelle Dringlichkeit der Entwicklung nicht zu übersehen. Die Gefahr einer extrem rechten Regierung ist real und sie ist aktuell. Beispiele anderer (europäischer) Staaten und aktuelle Umfrageergebnisse sollten uns gerade in Hinblick auf kommende Kommunalwahlen im Frühsommer dieses Jahres sehr hellhörig machen. Die Folgen einer AfD-geführten Kommunalpolitik werden für viele Menschen ganz real spürbar sein.
Im November 2023 wurde bei der Jahreshauptversammlung des vdää* folgender Mitgliederbeschluss gefasst: »Die MV beauftragt den Vorstand des vdää*, eine Perspektive und eine Strategie zu entwickeln, wie der Verein dem Rechtsruck in der Gesellschaft und der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft entgegenarbeiten kann.«
Diesen gilt es nun im Lauf des Jahres und darüber hinaus, zu konkretisieren und umzusetzen. Wir werden uns dabei auf vereinsinterne Bildungsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Bündnisarbeit stützen.
Doch auch im Verein wird schnell deutlich: Klar und einfach ist leider auch Antifaschismus nicht und gerade als Linke sehen wir uns aktuell mit einer Vielzahl von Fragen und Unklarheiten konfrontiert, die sich auch in Debatten im erweiterten Vorstand des vdää* widerspiegeln. Im Anschluss an den Beschluss des vdää*, Teil des Bündnisses: »Wir sind die Brandmauer« zu werden, gab es lebhafte Debatten zunächst im Mailverteiler und dann bei einer Online Diskussion des erweiterten Vorstands des vdää* am 28. Januar: Kern unserer Diskussionen waren verschiedene Fragen, wie sie aktuell sicherlich in vielen linken Kontexten, an Abendessenstischen und auf WG-Sofas diskutiert werden. In diesem Artikel wollen wir diese sich herauskristallisierenden Fragen zusammentragen und schon vorhandene, sich teilweise widersprechende Positionen wiedergeben. Darauf aufbauend wollen wir im Lauf des Jahres im Rahmen von kommenden Diskussionen und Veranstaltungen unsere Position(en) und ggf. auch Strategien ausbauen.
Steht die Brandmauer?
Gegen wen oder was kämpfen wir?
Kämpfen wir gegen »Rechts«, gegen die AfD, gegen den Faschismus? Was genau meinen wir damit? Woran macht sich dieses »Rechte« fest? An einer Partei, an gewisser Rhetorik, an einem Bekenntnis, an Inhalten? Auf welchen Achsen machen wir diese Inhalte fest? Antifeminismus, Rassismus, Migrationsfeindlichkeit, Neoliberalismus, autoritäre Repression, Militarisierung von gesellschaftlichen Konflikten, am Rückfall hinter bürgerliche Freiheit und Gleichheit… Diese Fragen tun sich auf, unter anderem, weil die großen Demonstrationen der letzten Monate die Idee der Brandmauer ins Zentrum der Diskussionen gestellt haben. Dabei ist meistens eine »zivilgesellschaftliche« und parteilose Organisation gegen Rechts bzw. den Faschismus gemeint. Wie bereits in unserer Diskussion deutlich wurde, suggeriert eine ‚Brandmauer‘, dass es ein klares davor und dahinter gebe, und dass somit klar sei, gegen wen und mit wem zusammen gekämpft wird.
Dabei entsteht aber eine gewisse Widersprüchlichkeit: Am selben Tag, an dem das Treffen von AfD-Politikern, Identitären und anderen Rechten in Potsdam stattfand, wurde im Bundestag das Asylgesetz verschärft3. Kann der Kampf gegen Rechts von der Kritik an der Politik der Ampel-Koalition getrennt werden? Bzw. schwächt die gleichzeitige Kritik an der AfD und der Ampel-Koalition den Kampf gegen Rechts? Oder sollte sie nicht viel eher genau in diese Proteste hineingetragen werden und macht diese den Kampf stärker und klarer? Können wir uns andererseits angesichts der Dringlichkeit der aktuellen politische Lage überhaupt ‚erlauben‘, eine solche Kritik auszuüben? Viele haben Angst, dass die »Spaltung« der Gegenbewegung rechte Entwicklungen noch befeuern oder zumindest erleichtern könnte.
Andere argumentieren, dass breite Bündnisse, wie sie im Kontext der ‚Brandmauer‘ diskutiert werden, auch Gefahren mit sich bringen. Angeführt wird in diesem Zusammenhang das Beispiel Frankreich, wo ähnliche Strategien schon gescheitert sind. Bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen kam es letztendlich zur Stichwahl zwischen dem neoliberalen Emmanuel Macron und der rechtsextremen Marine Le Pen vom Rassemblement National (bis 2018 Front National, FN). Beim ersten Mal stand die Brandmauer: Sehr viele sich als links-liberal verstehenden haben sich notgedrungen hinter Macron und gegen den FN gestellt. Bei der zweiten Stichwahl in dieser Konstellation konnten sich dann schon viel weniger Wahlberechtigte motivieren, für Macrons neoliberale Politik zu stimmen, unter der so viele Menschen in Frankreich leiden. Zu diskutieren wäre hier in Deutschland, ob die politisch weitsichtigere Strategie nicht der Aufbau einer dezidiert linken Alternative zu Rechtsradikalismus und Neoliberalismus sein müsste. Auch ob ein Blick nach Österreich und den Erfolgen der KPÖ in Graz und Salzburg diesbezüglich hilfreich ist, könnten wir diskutieren.
Wie geht es weiter?
Damit drängen sich schnell weitere Fragen auf: Was sind aktuell wichtige strategische Punkte? Welche Bündnisse müssen wir eingehen? Wer sind verlässliche Bündnispartner*innen?
Die aktuelle Situation lässt vor allem eins für Viele spürbar werden; eine erschreckende Dringlichkeit, die zu einer Ungeduld führt, die oben gestellten Fragen konkret zu beantworten und notwendige Schritte einzuleiten. Dabei bleibt zu diskutieren, welche Bündnisse aktuell tragfähig sind. Geht es darum, ein Teil der breiten Proteste zu werden? Oder müssen wir uns (auch) auf die Suche auch nach Bündnispartner*innen machen, die auf den Großdemonstrationen nicht oder nur am Rand und mit einer kritischeren Agenda (und einer linken Demo nach der Demo) auftauchten? Denn: Die Demonstrationen seit Januar waren von der Zusammensetzung her meist eher bürgerlich. An vielen Orten bestanden sie aus spontanen Bündnissen von sozialen Bewegungen und Organisationen, teilweise auch Unternehmer*innen4 sowie mit Beteiligung von Politiker*innen der regierenden Parteien, wie Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Vielerorts fehlte die große Beteiligung von migrantischen Milieus aber auch von Gewerkschaften. Linke, kapitalismuskritische Positionen waren kaum zu sehen oder zu vernehmen. Gleichwohl unterschieden sich die Demos von Stadt zu Stadt an der Frage, ob der Protest gegen »Rechts« die Kritik an der Politik der Ampel-Koalition und auch der CDU/CSU einschloss oder nicht.
Viele von uns sehen unsere Aufgabe gerade darin, auf Scheinheiligkeit und Doppelmoral hinzuweisen und klarzumachen, wo manche Politik der Ampel (und auch der Union) genau in die Richtung dessen geht, was die AfD postuliert. Damit haben wir auch die Chance, denen, die über ihre eigene Partei entsetzt sind (bei den GRÜNEN, der SPD, vielleicht auch bei der CDU/CSU), ein Angebot zu machen und mit ihnen zusammenarbeiten.
Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass Massendemonstrationen und selbst Aufstände in den letzten Jahren ihre Ziele aufgrund politischer Orientierungslosigkeit und fehlender Organisierung nicht erreichen konnten. Beispiele dafür sind der sogenannte Arabische Frühling, die Gelbwesten-Proteste in Frankreich oder die Black Lives Matter-Bewegung in den USA, die allesamt große Bewegungen darstellten, die auch langwierig und radikal waren, aber so gut wie nichts von ihren Zielen umsetzen konnten, vor allem nicht langfristig. Es bräuchte also mehr als Massenproteste – und anscheinend auch eine bessere polit-ökonomische Analyse der Problemlage.5 Langfristig sehen viele von uns es als Ziel, eine linke Bewegung mitzuorganisieren, die die Barbarei des status-quo kritisiert und deren Zuspitzung in Gestalt des Faschismus etwas entgegenzusetzen hat.
Was und wie lernen wir aus der Geschichte?
Auch in unserer Debatte im vdää*-Vorstand wurde sich immer wieder auf die Geschichte rückbezogen. Parallelen in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts drängen sich vielen gerade auf. Doch: Welches Bild der 20er Jahre wird dabei gezeichnet? Was wird gesehen, was wird weggelassen? Ist es überhaupt sinnvoll, eine Parallele zu den 1920er Jahren zu ziehen? Ist die Zeit 2024 trotz einiger Parallelen nicht insofern grundsätzlich verschieden, als es damals eine starke linke proletarische Bewegung gab, von der heute nicht nur in Deutschland kaum etwas übriggeblieben ist? Und wenn wir in die 20er schauen und versuchen, Fehler von damals nicht zu wiederholen: Welche Schlüsse ziehen wir? Beklagen wir vor allem abspalterische Tendenzen und die mangelnde Einigkeit in der Linken, oder ziehen wir gerade die Erkenntnis, dass weder Sozialdemokrat*innen noch konservative Bürgerliche verlässliche Bündnispartner*innen waren, und war der Versuch eines gemeinsamen Antifaschismus deshalb zum Scheitern verurteilt?
Hinzukommt die Frage der Militarisierung der Gesellschaft, die nun ja auch explizit durch die Ankündigung von Minister Lauterbach und implizit seit einer ganzen Weile schon (siehe die vielen Artikel und Debatten im DÄB) im Gesundheitswesen angekommen ist. Auch hier stellen sich Fragen: Ist eine Militarisierung immer ein Charakteristikum rechter Politik – auch wenn aktuell in Deutschland die explizit Rechten, also die AfD, davon weniger reden als die Politiker*innen der Ampel-Koalition und der Union? Wie könnte eine linke friedenspolitische Position der Ärzt*innenschaft heute aussehen – eine Frage, die im vdää* seit dessen Gründung immer wieder diskutiert wurde. Wie hängen Krieg, Kapitalismus und bürgerlicher Staat zusammen? Wie kritisieren wir Krieg, ohne naiv pazifistisch zu sein? Oder gehören medizinische Perspektive und pazifistische notwendig zusammen? Was heißt das heute?
Wir freuen uns darauf, über all diese Fragen, Ideen und Strategien im Gespräch zu bleiben und die offene und auch kontroverse Diskussion zu suchen. Dabei wollen wir unsere Perspektive erweitern und uns verschiedene Informationen und Blickwinkel aneignen, um hoffentlich an der Ausarbeitung linker Antworten auf die drängende Gefahr von Rechts mitzuwirken.
Wichtig ist, dass wir angesichts der Komplexität der Lage nicht den Kopf in den Sand stecken und dass wir uns nicht – wie so viele linke Debatten heutzutage – in ein Freund-Feind-Schema pressen lassen, das bei der kleinsten Abweichung von der eigenen Position den anderen gleich ins »gegnerische« Lager steckt. Alles ist etwas komplizierter und einfach ist es ohnehin nicht – na und? Antifa bleibt eben nicht nur Hand- sondern durchaus auch Kopfarbeit.
Wie geht es nun konkret im vdää* mit dem Thema weiter?
Eine Arbeitsgruppe aus dem Vorstand wird sich dazu in den kommenden Monaten weiter Gedanken machen.
Unsere Ideen sind:
- zum einen ein breites Bildungsangebot mit Möglichkeit zur Diskussion für Mitglieder und Interessierte aus unseren politischen Netzwerken.
- Damit wollen wir gemeinsam und mit Hilfe von externen Referent*innen Antworten auf drängende Fragen finden, z.B.:
- nach Ideologie und Strategie rechter Akteure,
- nach Ursachen für das Erstarken rechter Tendenzen in Politik und Gesellschaft
- den konkreten Gefahren für das Gesundheitswesen bzw. unsere Patient*innen (etwa durch Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit, aber auch durch Austeritätsmaßnahmen)
- Zusammenhang zu Militarisierung in Gesellschaft und Gesundheitswesen
- und nicht zuletzt mögliche Gegenmaßnahmen, um uns handlungsfähig in der Praxis zu machen
- Zum anderen antifaschistische Netzwerke im Gesundheitswesen (und darüber hinaus) bilden und stärken
Dazu planen wir:
- eine (mindestens) dreiteilige Online-Veranstaltungsreihe, in der wir uns mit den Hintergründen von rechter Politik und Rechtsextremismus auseinandersetzen, sowie ganz konkrete Gefahren und Handlungsstrategien im Gesundheitswesen diskutieren.
- Begleitende interne Diskussionen sowie Netzwerkarbeit und gemeinsame Diskussionen mit Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen (z.B.: vdää*, Krankenhaus statt Fabrik, ver.di, Gruppen Kritischer Mediziner*innen, Medibüros/medinetze, IPPNW, evtl. weitere antirassistische Organisationen)
- eine Sonderausgabe der Gesundheit braucht Politik 4/24
- das diesjährige Gesundheitspolitische Forum
Konkrete Ankündigungen und Einladung folgen in Kürze. Wir freuen uns, wenn Ihr Interesse habt und Euch zahlreich beteiligt!